Bevölkerungstausch - Pfui
Aktualisiert: 22. Mai 2019
Die Luft fühlt sich auch bei 25 Grad im Schatten irgendwie rauher an, die Hackeln fliegen tief, auch mehren sich unübersehbar die Zeichen sinkender Intelligenz (copyright Michael Häupl). Leute, es ist Wahlkampfzeit!
Die Zeit zwischen den Elefantenrunden und Fernsehkonfrontationen wird knapp. Daher ohne weitere Umschweife gleich zum Thema des Tages: Was ist so schlimm am Wort Völkeraustausch?
Die Tatsache, dass nicht näher benannte rechtsradikale Quellen - erwiesenermaßen aber die Identitären - dieses Wort verwenden, um die Ablehnung von Zuwanderung zu begründen. Sie unterstellen, dass es sich dabei um eine großräumig geplante Aktion handelt. PUNKT. Dicker Punkt.
Das Sachlichste, was ich zuletzt über das V-Wort lesen konnte, war der Hinweis, dass die Theorie des Völkertausches ganz eindeutig den Verschwörungstheorien zuzurechnen ist, weil sie - jetzt kommts - nicht der Faktenlage entspricht.
Historisch erfährt man auch Interessantes im vielgescholtenen Wikipedia: In der Geschichte hat schon einmal ein Völkertausch stattgefunden. Dieser wurde auch ganz offiziell so benannt und war auch genau das, was der Name impliziert: Die griechischen Bewohner an der türkischen Schwarzmeerküste wurden gegen türkische Bewohner Griechenlands auf Grund eines 1923 von ihren Regierungen ausgehandelten Vertrages ausgetauscht.
Der historisch erfolgte Völkertausch hat genau die umgekehrten Vorzeichen von dem, was nun als schlimme Gefahr für unsere angeblich schon immer völlig einheitliche europäische Kultur gehandelt wird: Jahrhundertelanges Zusammenleben von griechischen und türkischen Bewohnern in ihren angestammten (gemischten!) Wohngebieten wurde durch die Zwangsumsiedlung gewaltsam beendet. Die mentale Vorarbeit - das Schüren von Spannungen - für diese einmalige Aktion leistete dazu passender Weise ein Waffengang, der griechisch-türkische Krieg 1919 - 1922.
In Wahlkampfzeiten (s.o.) hat auch die Opposition Wichtigeres zu tun als sich mit allzu Konkretem abzugeben. Mit einem Auge auf dem Umfrageradar hechelt man vielmehr hinter der FPÖ hinterher, der man vorwirft, Tag und Nacht den armen wehrlosen Menschen Angst zu machen. Anstatt dass die Spitzenkandidaten ihre zugewiesenen Assistenten darauf ansetzen, die Verwendung des V-Wortes als blamable sich selbst disqualifizierende Dummheit bloßzustellen, wertet man es selbst zu einem Verbrechen auf, weil es den unsäglichen Begriff hoffähig zu machen droht. Als Schmerzlinderung für das arg verunsicherte eigene Kernpublikum reicht man eine der bösen Angst gar nicht so unähnliche (natürlich wirklich begründete) gute Angst, die vor diesem drohenden Rechtsruck. Während die gute Angst die Menschen entzweit, ist die gute Angst hingegen heilsam, weil moralisch keimfrei und völlig selbstlos. Gegen die Mobilisation seiner Kernwählerschichten gibt es kein Argument! Da muss man in Wahlkampfzeiten (ebenfalls s.o.) nicht so kleinlich sein!
Ist aber die geschlossene mehrmals täglich geäußerte Entrüstung über einen Begriff tatsächlich die einzige mögliche Reaktion? Da könnte man ja fast meinen, es gäbe keine Eltern mehr im politischen Publikum. Die wüssten nämlich schon, wie weit man mit Entrüstung kommt...
Man würde ja so gerne von einer schlimmen Zwickmühle reden, wenn man unsägliche Begriffe wie diesen ächten und den kritisieren will, der sie ausspricht. Doch da ist KEIN bisschen Zwickmühle. Der stärkste Verbündete sind die Fakten. Schon sehe ich manche hoffen, diese wären ja leider nicht jedermann verfügbar. Doch - sorry - dem ist nicht so. Nicht nur, dass Journalisten durchaus einen berufsbedingten professionellen Vorsprung in der Beschaffung von Information hätten, nein diesmal kommt es viel dicker: Jede und jeder in Österreich und in Zeiten des Internets sogar jeder Interessierte auf der Welt kann den Integrationsbericht der Republik Österreich aufrufen.
Dort kann man sich auf übersichtlich aufbereiteten Seiten die geprüften und aktuellen Zahlen zur Migration in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Scharfmacher aller Seiten haben damit aber nie so richtig Freude. Keine Überfremdung, kein Völkertausch, aber durchaus beachtliche Zahlen in den Ballungsräumen und bestimmten Bezirken. Auch die Bemühungen zur Migration sind ein Thema für differenzierte Beschäftigung. Schwierige Teilbereiche und andere Teilbereiche mit anerkennenswerten Erfolgen sind beide vertreten. Anerkennung über das, was schon gemacht wird und das Bewusstsein, dass weiterhin durchaus mit Herausforderungen zu rechnen ist könnte dabei schon aufkommen. Migration und Integration bleiben ernsthafte Aufgaben, und zwar auf längere Zeiträume als bis zur nächsten Wahl.
Nur einen Haken hat die Sache: sowas kostet Zeit. Ich muss zugeben, es kostet mehr Zeit als ein "Like". Aber trotzdem spare ich mir immer öfter die Zeit für "Like"s (die Einladungen zu "Like"s sowieso). Wird uns doch (viel) Zeit kosten, auch weiter am Gängelband der Parteien zu bleiben. Nach der Wahl!
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