Brexit: ein (mögliches) Scheitern mit Anlauf
Der Brexit hat nicht erst mit dem Referendum vom 23. Juni 2016 begonnen. Er hat - wie soll es auch anders sein - eine Vorgeschichte.
Der Beitritt
Italien, Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten begründen im Jahr 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die ihrerseits bereits auf Vorgängerorganisationen aufbaut.
Solange Charles De Gaulle regiert, scheitern die Anträge auf einen Beitritt an seinem Veto. So geschehen 1961 und 1967. Erst unter Georges Pompidou war an einen neuen Antrag zu denken. In Großbritannien kommt 1970 mit Edward Heath ein deklarierter Kenner und Liebhaber Europäischer Kultur und Lebensart an die Regierung. Auch politisch sieht er die Zukunft Großbritanniens in einem gemeinsamen Europa. Im Zuge einer Beitrittsrunde (Norderweiterung) halten die Kandidaten jeweils Referenden ab. Der ausverhandelte Beitritt Norwegens scheiterte am negativen Ausgang des Referendums. Dänemark, Irland und Großbritannien treten bei.
Zuvor aber musste 1972 im Parlament abgestimmt werden. Labour - Vorsitzender Wilson gab zwar eine Linie gegen einen Beitritt vor, aber viele Labour-Abgeordnete scherten aus. Torie - Vorsitzender Heath mit seiner Pro-Beitritt-Linie hatte ebenfalls einige Abgeordnete zu verzeichnen, die gegen die Parteiline und somit gegen den Beitritt stimmten. Trotzdem geht sich eine deutliche Mehrheit aus.
Schon 1975 ein nationales Referendum über den EU-Austritt
Doch 1974 läuten Bergarbeiterstreik und Probleme mit der starken Inflation einen Regierungswechsel ein und Harold Wilson wird neuer Premier. Er verlangt eine Neuverhandlung der EU-Beiträge. Die neue Parteichefin der Tories wird Margret Thatcher. Sie wirbt für die weitere Mitgliedschaft in der EU. In Ihrer Autobiografie räumt sie ein, dass ihr die Auswirkungen einer Mitgliedschaft auf die Souveränität Großbritanniens nicht bewusst gewesen seien. Sowohl Presse, Wirtschaft als auch Anglikanische Kirche sprechen sich für die EU-Mitgliedschaft aus. In der Volksabstimmung erhalten die Befürworter mehr als doppelt soviele Stimmen als die Austrittswilligen. Auch Premier Wilson atmet auf und sieht 14 Jahre Diskussion endlich beendet. Der (unten verlinkte) ZEIT - Artikel, auf den ich mich hier beziehe, endet mit dem Schulterzucken: Wie man sich täuschen kann!
Erstes Opting-Out
Eine EU-kritische Stimmung wurde erneut sichtbar, als der Maastricht-Vertrag 1992 zur Unterschrift stand und Premieminister Major nur mithilfe einer Rücktrittsdrohung seine Partei auf Linie und zu einer Zustimmung bringen konnte. Der Maastrichtvertrag, der offen von der Vision einer immer engeren Zusammenarbeit geprägt war und auch die Umbenennung von EWG in EG enthielt, hatte schon einige Vorbehalte gegen den Kurs der EU hervorgerufen. Mit Opt-Out-Klauseln hatte man sich sowohl gegen einen Zwang zur Euro-Einführung als auch gegen Mindest-Sozialstandards gewehrt.
Engagierte EU-Jahre unter Tony Blair
Tony Blair war dann seit Edward Heath der von der EU überzeugteste Premierminister. Er kündigt sogar ein Referendum zur Einführung des EURO an, das allerdings nie durchgeführt wurde. Drei Wahlsiege und die Öffnung der Labour-Partei hin zur Mitte (New Labour) verschaffen ihm auch im Kontinentaleuropa eine starke Stimme. Auch das Karfreitagsabkommen für Nordirland fällt unter seine Regierungszeit. Seine frühe Festlegung für englisches militärisches Engagement im Irak samt loyaler Unterstützung der USA wurden ihm politisch zum Verhängnis und zwangen ihn zum Rücktritt. Sein Parteifreund und Finanzminister Gordon Brown wurde sein Nachfolger.
Die nächsten Unterhaus-Wahlen brachten wiederum die Tories an die Regierung. Als die konservativen Abgeordneten vom Vorsitzenden David Cameron erneut ein EU-Referendum fordern, stellt er ein solches für den Fall seiner Wiederwahl in Aussicht. Davor allerdings wollte er über eine EU-Reform verhandeln. Sowohl zum Status der Souveränität als auch zur Einwanderung wollte er Ausnahmen von den Europäischen Regeln für das Vereinigte Königreich erreichen. Gegner aus anderen Parteien warfen ihm bereits vor, dies alles nur wegen gefährlich ansteigender Popularitätswerte der EU-kritischen Partei UKIP zu inszinieren. Tatsächlich erreichte UKIP bei der letzten Europawahl 2014 27,5 % der Stimmen in Großbritannien.
Das Referendum
Am 20. Februar 2016 gab David Cameron den Termin für das Referendum bekannt: 23. Juni 2016. In der einsetzenden Kampagne wurde von Seiten der Regierung die erreichten Verhandlungsergebnisse kaum noch thematisiert. Es ging hauptsächlich um die Größe des Vorteils des Binnenmarktes. Als Friedensprojekt war die EU auf der Insel nie so stark wahrgenommen worden wie in vielen Ländern des Kontinents, insbesondere Frankreich und Deutschland.
Von 33,5 Millionen Wahlberechtigten beteiligten sich 72,2 % am Referendum. Die Auszählung ergab 51,9 % für den Ausstieg und 48,1% für den Verbleib in der EU.
Am Morgen des 24. Juni kündigte David Cameron seinen Rücktritt an. Der von Großbritannien entsandte EU-Kommissar Jonathan Hill trat zurück. Auch Nigel Farage, der Kopf der Kampagne für den Austritt tritt am 4. Juli 2016 als Parteichef der UKIP zurück. Seine Aufgabe wäre nun erfüllt.
Erhellende weitere Kurzlektüre zum Brexit findet sich unter nachstehenden Links
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