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AutorenbildFlorian Kliman

Schlusskundgebung zur Europawahl 2024

Angemessener Trommelwirbel (keine Sounddatei)


Ob es in einer durchaus begreiflichen Ermüdung der Wahlkampfteams der Parteien oder gar in der Idee eines Nachdenktags für den wählenden Souverän, den wahlberechtigten EU-Bürger begründet liegt, vermag ich nicht zu eruieren. Aber: erst am Sonntag wird gewählt, es besteht durchaus noch die Möglichkeit, sich mit mir bis Sonntag, 17:00 h einige Gedanken zu machen.


Als der österreichische Schriftsteller Robert Menasse vor 10 Jahren seine "Reden über Europa" herausgab und sich seither als unermüdlicher Mahner vor der Verwundbarkeit der Europäischen Idee betätigt hat, war er für mich der erste "unverdächtige, neutrale" Nichtpolitiker, der sich zur real bestehenden Instittion äußerte. In der Zwischenzeit erschien mit "Die Hauptstadt" (2017) und "Die Erweiterung" (2021) und "Die Welt von morgen. Ein souveränes demokratisches Europa - uns seine Feinde" (2024) drei explizit europäische Werke. Darin verficht er vehement die Vertiefung der europäischen Einigung, die für ihn ein auch in einer europäischen Republik münden muss. Doch auch der Nichtpolitiker Menasse kann die EU nicht unpolitisch sehen. Nicht zuletzt auf Grund der beinahe deckungsgleichen Interessen zwischen den rechten Parteien in den Mitgliedsländern und den bremsenden Kräften in der Europäischen Integration gelten seine Positionen als rechtskritisch. Links steht er wohl ideell, doch wird man auch in keiner sozialdemokratischen Partei der Mitgliedsländer diese vehemente Integrationsbefürwortung wiederfinden.


Woran nur war es gelegen, dass ungeachtet des Inhaltes des zuvor gelesenen oder gehörten diese Wahrnehmungsgrenze nicht erreicht wurde, ab der ich es an mich als relevant herangelassen hätte? Ahnungslosigkeit ist bekanntlich aller Laster Anfang und der/dem musste ich mich tatsächlich stellen. Hier gab es einiges nachzuholen. Besonders aufschlussreich und relevant bis heute fand ich das Verständnis der Grundinstitutionen der EU. Insbesondere in dem Verhältnis des Europäischen Rates gegenüber dem Europäischen Parlament spiegelt sich die ganze Komplexität der europäischen Geschichte mit all den Kriegen auf seinem Boden wieder. Damit ist zwar etwas über die Komplexität der Strukturen gesagt, gleichzeitig aber werden diese damit auch sehr einleuchtend und durchaus verständlich.


Die Sorge um die Wahrung der Interessen der Mitgliedsnationen wird durch die Existenz eines Gremiums der Bundeskanzler/Regierungschefs sichtbar. Jedes Land entsendet dorthin ungeachtet seiner Größe seinen Bundeskanzler/'Regierungschef. Dort wird über die künftigen langfristigen Strategien der EU, über ihren Kurs gegenüber anderen Ländern außerhalb der EU, das Krisenmanagement und die zentralen Veträge entschieden.

Die Zusammensetzung der Mitglieder des Europäische Parlaments hingegen wird grundsätzlich proportional zu den Einwohnern bestimmt. Um extreme nach oben und unten zu vermeiden, gibt es mindestens 6 und maximal 96 Sitze. Österreich hat übrigens insgesamt 19 Sitze inne. In der parlamentarischen Praxis haben daher die Fraktionen entscheidende Bedeutung. Die tatsächliche Einflussmöglichkeit auf künftige Abstimmungen im Euroäischen Parlament, auf Teilnehme und Einfluss in Gremien, Ausschüssen usw. hängt wesentlich von diesen Gremien ab. Grob gesprochen finden sich hier die Konservativen, Sozialdemokraten, Grüne, Liberale und Rechtsparteien wieder. Letztlich landen unsere Stimmen vom Sonntag bei diesen Fraktionen und stärken diejenige Fraktion, zu der die von uns gewählte Partei gehört. Das sollte man bedenken, wenn man eine der bisher nicht vertretenen kleinen wahlwerbenden Parteien zu wählen gedenkt.


Eine einzige Regelung möchte ich noch anführen, die starken Einfluss auf die demokratischen Realitäten hat: das Einstimmigkeitsprinzip. Es gilt für die Bereiche

  • Außen- und Sicherheitspolitik

  • Steuerpolitik

  • Erweiterung der EU

  • Änderung der EU-Verträge


Auch im Einstimmigkeitsprinzip lässt sich unschwer eine Absicherungsfunktion wiedererkennen. Beides soll sicherstellen, dass über niemanden "drübergefahren" werden kann. Dies ist ja ein Vorwurf an die EU, die an den Biertischen immer noch erhoben wird, obwohl er institutionell (s.o.) verunmöglicht wurde. Der Preis dafür ist allerdings die eifrig praktizierte Möglichkeit eines einzelnen Landes, eine missliebige Entscheidung zu blockieren. Dies ist passender Weise der zweite geflügelte Satz an den Stammtischen: die EU als Papiertiger, der nix zusammenbringt. Es ist diese Konstruktion, die man als Preis für die Zustimmung souveräner Staaten zu einer teilweisen Übertragung nationaler Rechte auf eine übergeordnete Institution sehen kann. Ein Zugeständnis, das viel zur Mühsal europäischer Entscheidungen beigetragen hat. In der Praxis werden damit immer wieder auch sachlich unzusammenhängende Themen verknüpft, weil man damit Zugeständnisse an anderer Stelle erpressen kann. Doch es sind zusammengewachsene siamesische Zwillinge, ohne die es niemals eine EU gegeben hätte, in der immerhin die jahrhundetelang verfeindete, kriegführende, eifersüchtige, beleidigte und hochmütige übereingekommen sind, ihre Streitigkeiten friedlich zu bereinigen.


Die Bereitschaft, daür immer wieder auch Kompromisse einzugehen, wird gerne als endlose Kette von Schlappen und Niederlagen dargestellt. Doch der mühsame Mechanismus der ständigen gegenseitigen Kontrolle hat alle die Fortschritte gebracht, die - längst ist es vergessen - ehemals UNDENKBAR waren: offene Grenzen, eine gemeinsame Währung! In Robert Menasse's Aufarbeitung der EU-Kleinkrämerei, die zum Haareraufen ist, wenn man viel mehr vom Potential der EU umgesetzt sehen will, sind es daher sehr oft die üblichen Verdächtigen, die sich wieder und wieder als Bremser vom Dienst zur Verfügung stellen. Wenig geschätzt wird auch die oftmals an die Grenzen belastende Geduld und Ausdauer, die immer wieder vonnöten ist, doch zu Ergebnissen zu kommen. Es gibt doch durchaus Kräfte, die am Zustandekommen von Resultaten, von Fortschritten, von Vereinbarungen Interesse haben. Stärken wir diese konstruktiven Kräfte, damit sie allmählich schnellere und bessere (Immer noch - ) Kompromisse finden.


Meine Abschlusskundgebung lautet daher nicht nur: Bitte gehen sie wählen. Sie lautet: werfen Sie Ihre Stimme nicht denen hinterher, die sich hüten, die eigenen Einflussmöglichkeiten wie auch die generelle Kompetenzlage in der EU allzu klar darzustellen. Darum habe ich im Beitrag vom 15. Mai bereits die Plakate der FPÖ kritisiert. Dabei ging es nicht nur um altbekannte kritische Positionen, die man teilen kann oder auch nicht. Vielmehr ging es mir darum, demokratisch transparent nachvollziehbar entstandene Entscheidungen der Einfachheit halber als Wahnsinn abzuurteilen. Hier stellt sich für mich die Frage, welche Art der Entscheidungsfindung der hier kritisierenden FPÖ denn vorschweben. Der Verdacht, es könnten andere als demokratische Prozeduren gemeint sein, erinnert undangenehm an die Aussage vom damaligen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer: "Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist". Auch der an dieser Stelle bereits erwähnten Wahlempfehlung der Bischöfe kann ich viel abgewinnen. Die Empfehlung, nur Parteien zu wählen, die sich zur EU bekennen, impliziert: auch wenn sie nicht fehlerlos sind.


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1 Comment


Danke Florian für die gut gewählten Worte. Leider wird der Reformbedarf der EU auch von Dir nicht angesprochen. Ein Reformwunsch ist keineswegs mit einer Ablehnung der EU verbunden. Im Gegenteil. Den EU kritischen Parteien zu unterstellen dass sie die EU insgesamt ablehnen ist eine unzulässige Behauptung in meinem Verständnis. Die Drohung des Austrittes von manchen geht mir zu weit, weil die Konsequenzen nicht absehbar sein würden und ein riesiger Rückschritt sein würde. Insgesamt sehe ich die Notwendigkeit für jeden einzelnen sich stärker zu engagieren, den Politikern genauer auf die Finger zu schauen und Möglichkeiten des Einspruchs und der Kontrolle durch die Zivilbevölkerung zu schaffen um autokratischen Tendenzen Einhalt zu gebieten. Da leistest Du in Deinem Blog einen wichtigen Beitrag dazu…

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