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Kein heiliger Waffenstillstand zu Olympia

Autorenbild: Florian KlimanFlorian Kliman

Gras und Blumen über den originalen Sportstätten von Olympia (Peleponnes, Griechenland, Mai 2013)


Zwei Milliarden TV-Zuschauer weltweit (Schätzung). Rekord! Hielt also die Welt den Atem an am 26. Juli 2024? Nun ja, nicht wirklich. Verglichen mit dem absoluten Rekordhalter unter den Sportsendungen, der US-Superbowl, dem jährlich Anfang Februar stattfindenden Finale der American-Football-Profiliga NFL mit etwa 200 Millionen Zusehern weltweit sind trotzdem zwei Milliarden immerhin das Zehnfache. Hinzu kamen trotz gnadenlosem Regen auch noch 300.000 mindestens 90 € zahlende Zuschauer, die weder der Regen, noch der Anschlag auf TGV-Zugeinrichtungen um die Mittagszeit von der Teilnahme abhielt. Auch der große Anteil an Zusehern im asiatischen Raum, die bis in den frühen Morgen an den Schirmen ausharrten, ist für die Medienbranche schon eine Markierung. Nach dem ersten Staunen lassen sich nun auch die kritischen Stimmen schon gut überblicken. Österreicher, die in einer singenden geköpften Marie-Antoinette nicht unbedingt eine Reflektion über die sakrosankte Revolution von 1789, sondern einen recht derben Gag sehen konnten, sind da nur eine Gruppe unter mehreren. Auch die Modeschau, in der die verschämt als Diversität umschriebene neue freie Defintion der Sexualität am augenscheinlichsten zelebriert wurde, tat sich nicht hervor mit Rücksichtnahme auf traditionelle Vorstellungen in der eigenen wie auch anderen Kulturen der zusehenden Welt. Darin darf man wohl eine bewusste Behauptung gegenüber jeder Art von Einschüchterung sehen, die ja mit dem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar 2015 ein herausragendes Symbolereignis zu verzeichnen hat. Paris wollte explizit seine grenzenlose Kreativität zeigen und eigene Freiheit unerschrocken demonstrieren. Die explosive Demonstration dieser Freiheit überließ man der Kunst. Schlussendlich war es dann auch eine selbst von von Kritikern eingeräumte Kreativität, die als Meta-Ebene über den einelnen Darbietungen schwebte. Dort und da anzuecken, durchaus zu erwartende einzelne Grenzüberschreitungen zu wagen verstand ich als durchaus erwünschtes Kalkül. Ob den politischen Entscheidern bei der letztlich zustandegekommenen Show wohl zumute war oder eher doch nicht, wissen wir nicht. Ohne deren grünes Licht in Form zu Konzept, Finanzierung und organisatorischer Unterstützung wäre die diese Monsterveranstaltung niemals möglich gewesen.


Grenzwertiger Aufwand allerdings war schon bisher ungeschriebene Normalität. Der Einmarsch von 206 Nationen ist wohl das Ritual, an dem die olympische Idee noch am deutlichsten erkennbar ist. Klein und groß, bekannt und unbekannt darf auf sich aufmerksam machen. Die schiere Anzahl der defilierenden Personen dauert daher traditionell deutlich zu lang. Dieses Inszenierungsproblem kann auch von vielen gelungenen Episoden nicht aus der Welt geschaffen werden, die durch die technischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehens eingefügt wurden. Man merkt: inzwischen sind die Fernsehzuschauer nicht nur in der Überzahl, sie machen dieses wie auch andere Sportgroßereignisse vorrangig zu fernsehgerechten Inszenierungen.


Auf das Jahr 776 vuZ führt man die ersten olympischen Spiele zurück, die sich in hunderten von Jahren zu panhellenischen Spielen auswuchsen. Über Jahrhunderte gab es auch die Vereinbarung eines heiligen Waffenstillstandes (Ekacheiria) unter den griechischen Stadtstaaten, die zwar immer wieder auch gebrochen, aber letztlich doch beibehalten wurde. Sie sollte den Athleten die Anreise ermöglichen, blieb aber eine vorwiegend innerhellenische Vereinbarung. Ein solches Szenario ist schwer auf heutige Verhältnisse zu übertragen. Welche Anzahl an Konflikten bleibt unter der Wahrnehmungsschwelle ? Wieviele Konflikte wiederum sind überhaupt erst mit der oft überbordenden Nachrichtenflut heute dem Teil der Welt bekannt, der das Privileg des technischen Zugangs dazu genießen kann. Beides lässt sich mit einer Welt vor zweieinhalb Jahrtausenden nicht vergleichen.


Aus der unübersichtlichen Gemengelage dominieren aus unserer europäischen Perspektive die Konflikte in der Ukraine und derjenige in Israel. Israelische Sportler, die ebenso hinter ihrer Flagge der Seine entlang gleiten, ebenso wie Sportler unter der Flagge Palästinas, obwohl Palästina keiner der 193 UNO-Staaten ist, fügt diesem gordischen Knoten im Nahen Osten ein weiteres Alleinstellungsmerkmal hinzu. Nicht erst seit dem bestialischen HAMAS - Überfall von 7. Oktober 2023 stehen hier israelische und palästinensische Existenzberechtigungen in bisher unversöhnlicher Pattstellung gegenüber. So wird wohl auch die nächste Olympiade trotz ungelöstem Nahost-Konflikt eröffnet werden. Die Teilnahme der beiden Delegationen könnte man auch so umdeuten, dass man sich an diesen Konflikt bereits gewöhnt hat.


Dies steht in deutlichem Kontrast zu der Vorgangsweise, die man im Konflikt in der Ukraine gewählt hat. Hier wird mit der Russischen Föderation ein Agressor eindeutig als solcher gebrandmarkt. Russische Athleten können unter neutraler Flagge antreten, nicht aber als Vertreter der Russischen Föderation. Weißrußland als zwar klar loyalen, aber nicht militärisch eingreifenden Verbündeten so abzustrafen, scheint mir aber mindestens diskussionswürdig. Es gibt immerhin andere, nicht gleichbehandelte Länder, wie die Islamische Republik Iran, die an Russlands Krieg sogar militärisch beteiligt sind. Weder ist diese durch alte Sowjetbindungen von der Russischen Föderation abhängig, noch ist sie religiös mit dem Heiligen Russland verbunden. Einzige, aber ausreichend vitale Verbindung besteht in der innigen Feindschaft gegenüber "dem Westen". Dies reicht aus, um nach Kräften mit Waffennachschub - bekannt sind vor allem die massenhaft verwendeten preiswerten Drohnen - auszuhelfen. Auch politisch scheut man sich nicht, sich an der Seite des mit starker Isolation kämpfenden Föderation und ihres Präsidenten zu zeigen. Im Konzert der Kritischen Stimmen an der Eröffnung wurde der Ausschluss der beiden Länder bisher auffallend vergessen.


Pompös, kostspielig und riesig war das Eröffnungsspektakel, aber wann war sie jetzt nochmals genau, achja letzten Freitag. Ein Djokovic - Match, ein Marcel-Hirscher-Interview und eine Formel 1 - Grand Prix Wochenende später ist dieser Freitag bereits Vergangenheit. Ohne Verzug beginnen Gras und Blumen schon damit, darüber hinwegzuwuchern. Mein (belgischer) Schwager eilt gerade mit der Nachricht zur Tür herein "zwei Medaillen haben wir schon!"


Die olympische Idee muss sich mit dem Platz begnügen, den wir Menschen ihr geben. Das weihevolle, majestätische, ja religiöse ist dahin. Die Eröffnung - ein Fernsehabend, die Wettbewerbe - hey cool oder naja.


Aber: die Welt hält nicht den Atem an, sie darf die anderen Themen nicht aus den Augen verlieren. Die Zeichen stehen gut, auch die Olympiade mehr denn je entmystifiziert zu sehen. Und sich selektiv auf interessierende Wettbewerbe, interessanten Personen und olympischen Geschichten zu freuen.


Im Anthropozän. Dazu beim nächsten Mal.


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