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AutorenbildFlorian Kliman

Die globale Covidseuche und die Reisewarnungen

Perspektivenwechsel in der Praxis, Szene 3


Die lange Zeit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle gebliebenen EU-Aktivitäten zur Corona-Krise ließen mich einmal mehr über eine mangelnde Kompetenz der EU jammern. Die Gesundheitssysteme blieben ja bislang in der nationalen Zuständigkeit. Leider? Gott sein Dank? Oder egal? Vielleicht, wenn ein EU-weiter Masterplan existiert hätte und - nur mal so ein Gedankenspiel - von Budapest bis Lissabon akzeptiert worden wäre - hätten wir wohl erlebt, dass die EU nur einen Teil dieses Globus repräsentiert, alle Maßnahmen also auch dann nicht ausreichen würden, wenn sie - ein weiteres Gedankenspiel - EU-weit konsequent einheitlich angewendet worden wären. Viren haben nämlich - banaler gehts ja jetzt wirklich nimmer - keine Ahnung von EU-Außengrenzen!


Da nun der umtriebige und touristisch außergewöhnlich erfolgreiche Skiort Ischgl Anfang März 2020 europaweit zu einem leichtverständlichen Synonym für Seuchennester mutiert ist, wird auch klar, dass mit der nachrichtengerechten Zwangsverleihung einer Pauschaletikette keinem einzigen Patienten in Madrid oder Marseille oder sonst irgendwo geholfen ist. Auch die bestürzt abgereisten Kitzloch-Bargäste aus Island haben von der Gewissheit nicht sehr viel profitiert, dass sie sich ihre Ansteckung bereits in der Bar und nicht im Flugzeug zugezogen haben. Am heutigen 12. Oktober wurde von der Innsbrucker Expertenkommission ein Bericht über die Geschehnisse und Versäumnisse jener Tage präsentiert. Gelingt es auf der Basis von Fakten, aus den damaligen Vorgängen sachliche, konkrete und konsequente Schlüsse zu ziehen? Oder wird es weiterhin ausreichen, mit Formulierungen der Art "Zustände wie in Ischgl" mit dem Finger auf Plätze zu zeigen, wo niemand hinfahren sollte?

Das Modell, bestimmte Plätze als gefährlich zu markieren, hat weltweit einen wenig fröhlichen Reigen von Reisebeschränkungen angestoßen, der zum weltweiten Desaster in der für Österreich lebenswichtigen Tourismusbranche geführt hat. Wie in einem Lehrspiel wurde uns vorgeführt, wie sehr in der global vernetzten Konsumgesellschaft des Jahres 2020 wirklich alles mit wirklich allem zusammenhängt. Der Entschluss zu großflächigen Vollbremsungen schien vor allem anfangs des Jahres, als man noch sehr wenig über die Art und Wirkungsweise des Virus wusste, ohne Alternative. Nun haben aber Vollbremsungen so ihre Tücken - und ihre Nebenkosten. Teilerfolge mit sinkenden Zahlen Neuinfizierter waren in Umlauf. Die Kommunikation unter den betroffenen Ländern schien auch durchaus zu funktionieren, da man tagaktuell über die Infektionszahlen in anderen Ländern erfuhr. Schon bald allerdings gerieten diese Zahlenvergleiche zu peinlichen, kindischen Wettbewerben, wer denn nun die geringsten Infektionszahlen vorzuweisen hat. Während die einen immer noch unbeirrt und nicht ganz frei von Hintergedanken von Zuständen wie in Ischgl sprachen, konterte unser Bundeskanzler mit den Zuständen wie in Italien, Spanien oder Frankreich, die man unbedingt vermeiden wollte. Interessant auch, welche anderen Länder dabei unerwähnt blieben.

Die Meldungen aus anderen Ländern waren aber auch bereits die Türöffner für die Epoche der Reisewarnungn, die sich in den Köpfen der Bevölkerung sehr schnell zu Reiseverboten anwuchsen. Ein Schelm, der dahinter Absicht vermutete. Allerdings ließen sich die nationalen wirtschaftlichen Interessen bald nicht mehr zu verheimlichen, als Aufrufe zum Urlaub im eigenen - zum Glück wunderschönen - Land hinzukamen. Durch die möglichen Probleme bei der Rückkehr nach einem Aufenthalt im trotz Reisewarnung besuchten Ausland wurde ein solcher Aufenthalt für alle Berufstätigen zu einem mindestens lästigen, vor allem aber unberechenbaren Abenteuer. Die Sorge, auch der Chef könnte einem die ignorierte Reisewarnung zum Vorwurf machen, war immerhin nicht von der Hand zu weisen. Der absehbaren Schäden für alle Regionen mit Reisewarnungen machte die zarte Hoffnung auf ein langsames Einschwenken in einen normalen Herbst zu einem allzu frommen Wunsch. Den bezüglich europäischem Denken immer noch ungeübten Politikern kam es noch nicht in den Sinn, dass das Virus auf Grund seiner mangelnden Geographiekenntnisse möglicherweise bald erste Fehler machen und sich nicht an die wieder wichtig gewordenen Staatsgrenzen halten könnte. Es blieb Deutschland, dem Musterschüler in allen Fächern vorbehalten, uns staunenden Europäern die Jämmerlichkeit dieser Strategie zu demonstrieren. Eines Tages nämlich waren vier Bezirke in Deutschland über den landesweit gültigen Schwellenwert an Infektionen gerutscht und ab diesem Zeitpunkt konnte die Konsequenz in einem Rechtsstaat nur heißen: innerdeutsche Reisewarnung! Einwohner dieser stark betroffenen Bezirke durften sich tatsächlich die Augen reiben: So manches Hotel verwehrte ihnen sogar die Aufnahme! Es bleibt abzuwarten, wann die Kärntner oder Burgenländer keine Wiener und keine Innsbrucker mehr einquartieren. Vielleicht brauchen wir auch Quarantäne, nachdem wir aus Innsbruck nach Kufstein zurückkehren? Sind noch weitere Beispiele nötig? Oder kann man vielleicht schon erkennen, in welche Sackgasse dieses Konzept führt?


Gibt es denn gar keine andere Perspektive als die unsäglichen Reisewarnungen? Hinter dem derzeitigen Verfahren steht doch letztlich die resignative Überzeugung, dass sich die Bürgerinnen und Bürger nicht aus Einsicht und durch gute Information aufgeklärt an Regeln hält. Doch eigentlich geht es um diese Verhaltensweisen und Regeln, die nach heutigem Wissensstand, die Verbreitung des höchst ansteckenden Virus verhindern können. Zum Glück gelten diese Regeln überall auf dem Globus: Abstand, Abstand, Abstand + Mund-Nasen-Schutz+Hände waschen. Wenn diese Regeln befolgt werden, ist es egal, ob sich ein Chinese in Mailand oder ein Franzose in Indien aufhält. Wesentlich weniger Aufwand ist es, wenn ich mich als Reisender an die aktuell geltenden Bestimmungen von z.B. Mailand halte. Selbst der größte Aufwand in die Kommunikation dieser Regeln wäre äußerst preiswert verglichen mit dem ungeheuren Schaden der heutigen Methoden. Kommuniziert und transparent exekutiert werden müssten wohl oder übel auch Übertretungen der Regeln gegenüber allen in der Region sich aufhaltenden Menschen. Anstatt Schutzschilder an den Landesgrenzen errichten zu wollen, hieße dies, jeden einzelnen Menschen mit einem eigenen Schutzschild auszustatten.


Ist dies nicht der völlig zum Scheitern verurteilte Versuch, das Verhalten des Einzelnen zu ändern?


Ein großes Ja, wenn man annimmt, dass bereits alles getan wurde, den Bürger und die Bürgerin über die direkten und indirekten Kosten der derzeitigen Reisewarnungsphilosophie und die existierende Alternative aufzuklären. Ein vielleicht etwas kleineres Nein hingegen, wenn die konsequente Betonung der Eigenverantwortung zum Einhalten der vor Ort geltenen Regeln die gegenseitigen internationalen Blockaden ablöst.


Der Pfad der nationalen Reisewarnungen anhand von überschrittenen Grenzwerten führt - konsequent zu Ende gedacht - zu innernationalen Reise- und Mobilitätswarnungen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind verheerend. Wenn weiterhin die Bürger für unfähig gehalten werden, sich selbst an die nicht wirklich so komplizierten Regeln zu halten, bleibt wenig Hoffnung zu einer Verbesserung der Situation wegen der dahinschwindenden Autorität von Einzelvorschriften.


Sollten sich auch die natürlich bisher völlig schuldlosen und an der steigenden Unzufriedenheit völlig unbeteiligten Medien und nur dem Wohlergehen ihrer Partei treu ergebenen Politiker dazu aufraffen können, energisch an die Disziplin der einzelnen zu apellieren, würden sich hingegen auch völlig andere Szenarien anbieten, die von der Region bis hin zur EU-Ebene, ja sogar weltweit kompatibel wären.


Völlig illusorisch? Mag sein, was aber hindert mich selbst an einem solchen Perspektivenwechsel?


P.S.: Bleiben Sie gesund!

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